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Wieder der Vernunft II: shortcuts, short circuits and bypasses



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Shagreen
 2003-09-22 14:46
#22496 #22496
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Ich nehme Bezug auf den Artikel Lastesel der Nation.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Damit die Lohnnebenkosten sinken, sollten die Sozialkassen vom Faktor Arbeit weitgehend abgekoppelt werden. Entsprechende Konzepte haben jüngst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (SPIEGEL 11/2003) sowie die Rürup-Kommission mit ihrem so genannten Kopfpauschalen-Modell vorgelegt.

Die Sozialkassen sollen also vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden. Die Kassen leben aber von den Einnahmen der Einzahler. Die Einzahler müssen, um ihrer Zahlungsverpflichtung nachkommen zu können, ein Geldeinkommen haben, also einer "lohnenden" Arbeit nachgehen. Die Lohnnebenkosten müssen demnach in die Lohnkosten aufgelöst werden. Da die Lebenssicherung nun einmal nach betriebswirtschaftlichen Kriterien ein Minusgeschäft ist und auch in Zukunft bleiben wird, müssen dann aber auch die Löhne individuell stetig nach oben korrigiert werden. Gewerkschaften werden vollkommen obsolet; das Lohngefeilsche wird Aufgabe der Tarifpolitik jedes Einzelnen für sich selbst.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Um niedrig entlohnte Jobs attraktiver zu machen, müssen Sozial- und Arbeitslosenhilfe konsequent auf das Prinzip "Fördern und fordern" umgestellt werden - nach Modellen, wie sie etwa der Münchner Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn entwickelt hat: Wer angebotene Jobs ablehnt, muss Kürzungen in Kauf nehmen. Im Gegenzug erhalten Niedriglöhner Anspruch auf staatliche Lohnzuschüsse.

Der arbeitende Arme ("working poor"), der lange Zeit staatlich "über Gebühr" subventioniert wurde, wird endlich wieder sein (vogel)freies Vagabundendasein leben können/müssen. Das "Friß oder Stirb" ist die zynische Konsequenz von Slogans wie "Arbeit macht frei!" oder "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!", die im faschistischen KZ, wie im kommunistischen GULAG als Endlösung gefeiert wurde.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Um den Faktor Arbeit zu entlasten, müssen die Steuersätze gesenkt und zum Ausgleich Schlupflöcher und Vergünstigungen abgebaut werden. Ein solches Modell hat schon vor Jahren der Hohenheimer Steuerprofessor Peter Bareis erarbeitet.

Die Arbeit(skraft) kann nur vom Lohn selbst entlastet werden. In einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist das Augenwischerei, da die Arbeitskräfte über die Arbeitsmärkte konsumiert werden. Solange man von der Arbeit als Faktor spricht, wird die Gesamtrechnung nicht aufgehen. Das Problem ist, das es zu wenig Lohnarbeit gibt. Das Kapital ist ausgebrannt und häuft maximal noch fiktive Geldwerte an; die Akkumulationsbewegung wird nur noch simuliert. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind der beste Beweis für die Lächerlichkeit unseres alltäglichen Selbstbetrugs, für die Ratio eines Fetischsystems von Ware, Geld und Arbeit. Der Mensch schafft und muß nicht wie ein unzurechnungsfähiger, hilfloser Idiot beschäftigt werden.

Spiegel,22.09.2003,00:00
Versicherungsfremde Leistungen in den Sozialkassen sollten eigens ausgewiesen und konsequent über Steuern finanziert werden. In der Arbeitslosenversicherung zum Beispiel tragen die Beitragszahler einen Großteil der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik, von der Weiterbildung bis zur Beschäftigungsförderung. Doch der Rat vieler Ökonomen, die Maßnahmen stärker über Steuern zu finanzieren, hatte bislang keine Chance.

Sind die Beiträge zu den "Existenzversicherungen" nicht zu mehr zu steuern, muß die Steuer dazu beitragen. Die Lasten sollen auf die Allgemeinheit verteilt werden. Cleverer wäre es, die Lasten garnicht mehr entstehen zu lassen, aber wo wäre dann das Geschäft?

Es bleibt dabei: Die Anzahl der Lastesel soll erhöht werden, damit die Last gerecht (gleich) verteilt ist (Vorsicht: kapitalistische Utopie bzw. utopischer Kapitalismus). Fakt ist aber, der Esel bleibt!
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 2003-09-22 14:52
#22497 #22497
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Für weitere Teile: Der Topic sollte "Wider der Vernunft \d+" heißen.
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Gruß Alex
Ronnie
 2003-09-22 16:35
#22498 #22498
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Habe eben auf dem Spiegel die Vorschläge des Herrn Rogowski gelesen, wozu unter anderem auch die Abschaffung gesetzlicher Feiertage gehört. Ich wäre da ja für den Tag der deutschen Einheit, der wird sowieso von keinem ernsthaft gefeiert. Und überhaupt: Alle sollen mehr arbeiten, für weniger Geld versteht sich. Wegfall der Freizeit ohne Lohnausgleich schwebt Herrn Rogowski so vor. Irgendwie muss ich dabei auch an die, von Shagreen, erwähnten Gulags denken.\n\n

<!--EDIT|Ronnie|1064234165-->
jan
 2003-09-22 17:01
#22499 #22499
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was ist denn ein feiertag anderes als bezahlter urlaub? mit der religiösen tradition lässt sich das bei stark schwindenen kirchenmitgliedszahlen doch kaum mehr rechtfertigen, oder?
Shagreen
 2003-09-22 20:01
#22500 #22500
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[quote=format_c,22.09.2003, 12:52]Für weitere Teile: Der Topic sollte "Wider der Vernunft \d+" heißen.
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Gruß Alex[/quote]
peinlich, peinlich ... aber ich habe es mal gewußt :)
Shagreen
 2003-09-22 20:03
#22501 #22501
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Ja, die Freizeit, der Ausgang, der Feierabend, das Wochenende, der Urlaub, die Rente ist schon 'was Schönes. Endlich mal abschalten, einfach mal nix tun, "alle Viere grad" und "Gott einen lieben Mann sein lassen". Die ganze Zeit weiden wir friedlich, zählen Schäfchen und schauen mit großen, treuen Glubschaugen hoch zu den Wolken empor, die - selbst schäfchenförmig - über unsere Schafsköpfe hinwegziehen.
Da wird doch der Esel im Schafspelz verrückt. Will sagen, ich bin auch für die Abschaffung von festen Zeiten unproduktiver Tätigkeit. Mein Gehirn, daß ich wochentags gewohnheitsmäßig gegen 08.00 Uhr ausschalte und gegen 18.00 Uhr wieder in Betrieb nehme (den Stuhlgang habe ich arbeitgeberfreundlich in meine Freizeit verlagert - ist ja auch Privatsache), will endlich über den Tag verteilt denken dürfen. Vielleicht könnte man sogar Nutzen daraus ziehen.
Ich sollte mal mit dem Oberhirten reden. Aber ich soll ja einfach nur Wolle geben oder Lasten tragen.

So, 18-Hundert, die Kirchturmglocke läutet. Dann werde ich mal losgrasen.

Gott befohlen.
jan
 2003-09-22 20:11
#22502 #22502
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>Die Sozialkassen sollen also vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden. Die Kassen leben aber von den Einnahmen der Einzahler.

das sollen sie ja auch weiterhin ... sie sollen nur nicht mehr größtenteils von den arbeitnehmern bezahlt werden, sondern von der solidargemeinschaft, die weit mehr aus nur die arbeitnehmer umfasst. hinter der bürgerversicherung steckt doch ein ganz ähnliches prinzip. man haut das aus den lohnnebenkosten raus, erhöht die löhne etwas, aber zwingt gleichzeitig spitzenverdiener, beamte und selbstständige, auch in das ineffiziente solidarsystem hineinzusteigen.
und damit erledigt sich dann auch die idee vom 1:1-transfer der lohnnebenkosten in die löhne, da das nicht notwendig ist.

>Das "Friß oder Stirb" ist die zynische Konsequenz von Slogans wie "Arbeit macht frei!" oder "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!", die im faschistischen KZ, wie im kommunistischen GULAG als Endlösung gefeiert wurde.

ein "wenn du an der solidargemeinschaft teilhaben willst, dann trage auch deinen teil bei" ist für dich gleich ein faschistoider ausspruch? wow, und ich dachte du steht da eher im sinne marx - was ist, wenn in marx theorie 95% keine lust zum arbeiten haben und sagen "jungs, ihr macht das schon. macht doch dreifachschichten, dann schafft ihr das schon, uns durchzufüttern. sorry, keine lust, ist so anstrengend."? freudestrahlendes "yeah, ich darf für 19 arbeiten?"

>Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind der beste Beweis für die Lächerlichkeit unseres alltäglichen Selbstbetrugs
die gehören ja aber auch nicht zum marktwirtschaftlichen teil des deutschen systems, sondern zum sozialen teil. abm ist absolut unkapitalistisch, weil weitestgehend sinnlos, nicht produktiv. einer schüttet sand auf den boden, der andere füllt ihn in wieder in den eimer, aus dem ihn der erste wieder auf den boden schüttet. beide haben arbeit, aber sie sind nicht produktiv.

>Cleverer wäre es, die Lasten garnicht mehr entstehen zu lassen, aber wo wäre dann das Geschäft?

arbeitslosen-, kranken-, und rentenversicherung abschaffen? wie dann das (moderne) bedürfnis nach allumfassender absicherung befriedigen?

>Die Anzahl der Lastesel soll erhöht werden, damit die Last gerecht (gleich) verteilt ist (Vorsicht: kapitalistische Utopie bzw. utopischer Kapitalismus)

sorry, aber das hat doch mit kapitalismus überhaupt nichts zu tun. die bürgerversicherung ist eine typische idee zur umverteilung, zum solidarischen system, was ich nun eher dem sozialistischen zurechner als dem kapitalistischem. der kapitalist würde niemals sagen "ahjo, der arbeitet zwar nicht so viel wie ich aber ich zahl trotzdem mal das dreifache wie er für die gemeinschaft". dabei geht es ja nicht um gerechtigkeit im sinne von ausgewogenheit oder relativer gleichheit, sondern um soziale gerechtigkeit, den schwammigsten begriff in der moderne, gleich neben der menschenwürde.
Shagreen
 2003-09-23 14:49
#22503 #22503
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Jan,22.09.2003,18:11
>Die Sozialkassen sollen also vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden. Die Kassen leben aber von den Einnahmen der Einzahler.

das sollen sie ja auch weiterhin ... sie sollen nur nicht mehr größtenteils von den arbeitnehmern bezahlt werden, sondern von der solidargemeinschaft, die weit mehr aus nur die arbeitnehmer umfasst. hinter der bürgerversicherung steckt doch ein ganz ähnliches prinzip. man haut das aus den lohnnebenkosten raus, erhöht die löhne etwas, aber zwingt gleichzeitig spitzenverdiener, beamte und selbstständige, auch in das ineffiziente solidarsystem hineinzusteigen.
und damit erledigt sich dann auch die idee vom 1:1-transfer der lohnnebenkosten in die löhne, da das nicht notwendig ist.

Hm, ein ineffizientes Solidarsystem führt in den Staatsbankrott, da kann man die Basis erhöhen wie man will. Es sei denn, man ist nicht bereit, die Mehr-Leistungen, die sich aus den Mehr-Beiträgen ergeben, zu bezahlen. Dann wäre vielleicht Solidarsystem nicht das richtige Wort.

Jan,22.09.2003,18:11
>Das "Friß oder Stirb" ist die zynische Konsequenz von Slogans wie "Arbeit macht frei!" oder "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!", die im faschistischen KZ, wie im kommunistischen GULAG als Endlösung gefeiert wurde.

ein "wenn du an der solidargemeinschaft teilhaben willst, dann trage auch deinen teil bei" ist für dich gleich ein faschistoider ausspruch? wow, und ich dachte du steht da eher im sinne marx - was ist, wenn in marx theorie 95% keine lust zum arbeiten haben und sagen "jungs, ihr macht das schon. macht doch dreifachschichten, dann schafft ihr das schon, uns durchzufüttern. sorry, keine lust, ist so anstrengend."? freudestrahlendes "yeah, ich darf für 19 arbeiten?"

Marx selbst sagt von sich, er sei kein Marxist. Seine Theorie ist, wie jede Theorie, widersprüchlich. Trotzdem meinte er, der Staat muß überwunden werden, wenn er seine Gedanken auch nicht mehr in aufbereiteter Form in einem Vierten Band des Kapitals darlegen konnte.
Du unterstellst, daß der Mensch von Grund auf zur Faulheit und zu einem Taugenichtsdasein tendiert und deshalb diszipliniert werden muß. Das ist eine typisch bürgerliche Verdrehung der Tatsache, daß der Mensch erst von einem Wirtschaftssystem zur Tatenlosigkeit verurteilt wird.

Jan,22.09.2003,18:11
>Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind der beste Beweis für die Lächerlichkeit unseres alltäglichen Selbstbetrugs
die gehören ja aber auch nicht zum marktwirtschaftlichen teil des deutschen systems, sondern zum sozialen teil. abm ist absolut unkapitalistisch, weil weitestgehend sinnlos, nicht produktiv. einer schüttet sand auf den boden, der andere füllt ihn in wieder in den eimer, aus dem ihn der erste wieder auf den boden schüttet. beide haben arbeit, aber sie sind nicht produktiv.

Da bin ich in meiner Arbeit natürlich um Längen produktiver, wenn auch destruktiver. Ein kapitalistisches Sozialwesen ist ein Widerspruch in sich. Die Abrüstung des Sozialstaates (sozialer Ausgleich) bei schwindender Existenzgrundlage der meisten Menschen (Arbeit) wird zu repressiveren Methoden führen; der Traum von der "Vergewaltigung ohne Gewalt" unterm formal-demokratischen Deckmäntelchen ist ausgeträumt. Richtig effizient ist eben nur die Menschenhaltung in Arbeitslagern. Da sich der fortschrittlich-demokratische Verstand daran stören könnte, ist es aber besser, jeder schaufelt sein eigenes Grab.

Jan,22.09.2003,18:11
>Cleverer wäre es, die Lasten garnicht mehr entstehen zu lassen, aber wo wäre dann das Geschäft?

arbeitslosen-, kranken-, und rentenversicherung abschaffen? wie dann das (moderne) bedürfnis nach allumfassender absicherung befriedigen?

Eine Absicherung vor den Unwägbarkeiten und Risiken eines blind prozessierenden Systemzusammenhangs ist unmöglich. Bei Überbeanspruchung der Ressourcen knallen die Sicherungen. Besser ist das System zu analysieren, woher kommt das gestiegene Bedürfnis nach einer Vollkaskogesellschaft?

Jan,22.09.2003,18:11
>Die Anzahl der Lastesel soll erhöht werden, damit die Last gerecht (gleich) verteilt ist (Vorsicht: kapitalistische Utopie bzw. utopischer Kapitalismus)

sorry, aber das hat doch mit kapitalismus überhaupt nichts zu tun. die bürgerversicherung ist eine typische idee zur umverteilung, zum solidarischen system, was ich nun eher dem sozialistischen zurechner als dem kapitalistischem. der kapitalist würde niemals sagen "ahjo, der arbeitet zwar nicht so viel wie ich aber ich zahl trotzdem mal das dreifache wie er für die gemeinschaft". dabei geht es ja nicht um gerechtigkeit im sinne von ausgewogenheit oder relativer gleichheit, sondern um soziale gerechtigkeit, den schwammigsten begriff in der moderne, gleich neben der menschenwürde.

Nochmal, eine Bürgerversicherung hat das Problem der DDR auch nicht lösen können. Das Sozialsystem wird immer unbezahlbarer (falls eine Steigerungsform überhaupt zulässig ist).

Das Motiv unseres Produzierens von Waren ist die Schaffung von Mehrwert, der sich durch Konsumtion der Waren in Profit auflöst. Für die Erhöhung des Mehrwerts (und damit der Mehrarbeit) gibt es zwei Möglichkeiten: a) die Steigerung der Ausbeutungsrate bei gegebener Anzahl von Arbeitskräften und b) die Erhöhung der Anzahl von Arbeitskräften bei gegebenem Ausbeutungsgrad. Marx spricht im Falle von a) von der "Verwohlfeilerung" von Produktionsmitteln (Maschinen/Technologie = konstantes Kapital) und b) von der Vergrößerung des menschlichen Arbeitsanteils (variables Kapital) und zeigt damit die "organische Zusammensetzung" des Gesamtkapitals auf. Es dreht sich letztendlich also immer idealtypisch um Vollautomatisierung vs. Vollbeschäftigung. Ersteres ist dem konkurrenzkapitalistischen, letzteres dem monopolkapitalistischen (Geschäfts/Wirtschafts-)Modell zuzuordnen. Du selbst glaubst nicht an eine Vollbeschäftigung (ich auch nicht); was machen wir aber mit den überflüssigen Kostenfressern, die stetig mehr werden? Der postmoderne Mensch hat durch die Dritte industrielle Revolution (Mikroelektronik, Automatisierung, Robotik, ...) Produktiv- und gleichzeitig Destruktivkräfte angehäuft wie nie zuvor. Wir können an einem Tag Rom erbauen und in einer Zigarettenpause wieder einreißen (was wir ja auch sinngemäß tun). Zu sagen, daß wir Deutschen nicht produktiv genug sind, ist nationalistische Volksverdummung, die selbst die Propagandamaschinerie unserer glorreichen Vorfahren locker an die Wand spielt.
jan
 2003-09-23 15:11
#22504 #22504
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>Hm, ein ineffizientes Solidarsystem führt in den Staatsbankrott, da kann man die Basis erhöhen wie man will.

eben, das ist der punkt. eine lösung wäre also, das solidarsystem dahingehend zu ändern, dass es effizient wird. im moment haben wir eine vorfinanzierung des solidarsystems, d.h. man zahlt nicht ein, um später davon zu leben, sondern man zahlt ein, damit die, die es jetzt benötigen, davon leben können. da aber pro solidarfall mehrere einzahler notwendig sind, müsste zur zeit ein babyboom ausbrechen, um das system länger bestehen zu lassen.

>Du unterstellst, daß der Mensch von Grund auf zur Faulheit und zu einem Taugenichtsdasein tendiert und deshalb diszipliniert werden muß. Das ist eine typisch bürgerliche Verdrehung der Tatsache, daß der Mensch erst von einem Wirtschaftssystem zur Tatenlosigkeit verurteilt wird.

nein, ich unterstelle nicht, dass der mensch von grund auf zur faulheit tendiert. führen wir das ganze zurück auf einfache umstände. um zu essen, muss man von einem baum früchte flücken, das nehme ich jetzt mal als grundlage. dieses flücken ist anstrengend. aber, da man essen will (und muss, um dem überlebenstrieb rechnung zu tragen), nimmt man diese anstrengung auf sich. kann man sie vermeiden und dennoch essen, dann ist es die ratio, die fordert, diesen weg zu gehen. keine triebbedingte sache, sondern eine frage der vernunft. natürlich nur, wenn man einen eher egoistischen als altruistischen menschen unterstellt...

>Richtig effizient ist eben nur die Menschenhaltung in Arbeitslagern. Da sich der fortschrittlich-demokratische Verstand daran stören könnte, ist es aber besser, jeder schaufelt sein eigenes Grab.

da würde ich schon mal widersprechen, die effizienz-steigerung bei arbeitslagern mag bei einfacher körperlicher arbeit höher sein, sobald man aber in facharbeiter-niveau steigt, ist sie rückläufig und sinkt recht schnell unter die effizienz einer freieren gesellschaft.

>Besser ist das System zu analysieren, woher kommt das gestiegene Bedürfnis nach einer Vollkaskogesellschaft?

ich wage mal einen ansatz: mehr wohlstand, mehr angst, ihn zu verlieren. mehr möglichkeiten, mehr bedarf, diese möglichkeiten auszunutzen. ein bedürfnis nach sicherheit ist uralt, früher baute man burgen, davor suchte man sich sichere höhlen. wer konnte, legte etwas geld oder nahrung zurück, für schlechte zeiten. das ist also kein ding der moderne - allerdings hat es sich dahingehend verändert, als dass die grundbedürfnisse in der westlichen welt weitestgehend gedeckt sind und man sich zu den sekundär- und tertiär-bedürfnissen hin absichern will. es geht also heute nicht mehr darum, auch morgen noch etwas zu essen zu haben, sondern auch morgen noch den fernseher mit kabelanschluß zu haben. dahingehend die veränderung.

>Nochmal, eine Bürgerversicherung hat das Problem der DDR auch nicht lösen können.

da vergleichst du aber äpfel mit birnen. die ddr ist nun nicht gerade das beispiel für ein effizientes wirtschaftssystem mit ineffizientem sozialsystem...

>Zu sagen, daß wir Deutschen nicht produktiv genug sind, ist nationalistische Volksverdummung, die selbst die Propagandamaschinerie unserer glorreichen Vorfahren locker an die Wand spielt.

denke ich nicht. die produktivität ist, im internationalen vergleich, unterdurchschnittlich. die lebensarbeitszeit liegt rund 20% drunter, wenn ich mich recht entsinne. wären "wir deutschen" produktiv genug, hätten wir nicht die probleme, die wir haben, die das reformierte holland nicht in dem ausmaß hat. risiko-absicherung kostet. hat immer schon gekostet. heute kostet es geld, um auf mein beispiel mit dem baum zurückzukommen, da kostete es mehraufwand, um sich mehr früchte als nötig zu holen und einige zurückzulegen, falls man morgen nicht ernten kann. diesen zusammenhang zwischen absicherung und mehraufwand haben viele imho aus den augen verloren und der allumfassende staat, der ihnen die individuelle verantwortung abnimmt, tut sein übriges dazu, ihn nicht wieder in ihr blickfeld hineinzurücken.
Shagreen
 2003-09-23 18:57
#22505 #22505
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Hallo Jan,

exemplarisch nur zwei Zitate von Dir:

Jan,23.09.2003,13:11
>Du unterstellst, daß der Mensch von Grund auf zur Faulheit und zu einem Taugenichtsdasein tendiert und deshalb diszipliniert werden muß. Das ist eine typisch bürgerliche Verdrehung der Tatsache, daß der Mensch erst von einem Wirtschaftssystem zur Tatenlosigkeit verurteilt wird.

nein, ich unterstelle nicht, dass der mensch von grund auf zur faulheit tendiert. führen wir das ganze zurück auf einfache umstände. um zu essen, muss man von einem baum früchte flücken, das nehme ich jetzt mal als grundlage. dieses flücken ist anstrengend. aber, da man essen will (und muss, um dem überlebenstrieb rechnung zu tragen), nimmt man diese anstrengung auf sich. kann man sie vermeiden und dennoch essen, dann ist es die ratio, die fordert, diesen weg zu gehen. keine triebbedingte sache, sondern eine frage der vernunft. natürlich nur, wenn man einen eher egoistischen als altruistischen menschen unterstellt...

Wieso Du an dieser Stelle Altruismus/Egoismus erwähnst, weiß ich nicht?
Wichtig ist, daß Du feststellst, daß es vernünftig ist, zu essen, wenn einem schon die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.

Jan,23.09.2003,13:11
>Zu sagen, daß wir Deutschen nicht produktiv genug sind, ist nationalistische Volksverdummung, die selbst die Propagandamaschinerie unserer glorreichen Vorfahren locker an die Wand spielt.

denke ich nicht. die produktivität ist, im internationalen vergleich, unterdurchschnittlich. die lebensarbeitszeit liegt rund 20% drunter, wenn ich mich recht entsinne. wären "wir deutschen" produktiv genug, hätten wir nicht die probleme, die wir haben, die das reformierte holland nicht in dem ausmaß hat. risiko-absicherung kostet. hat immer schon gekostet. heute kostet es geld, um auf mein beispiel mit dem baum zurückzukommen, da kostete es mehraufwand, um sich mehr früchte als nötig zu holen und einige zurückzulegen, falls man morgen nicht ernten kann. diesen zusammenhang zwischen absicherung und mehraufwand haben viele imho aus den augen verloren und der allumfassende staat, der ihnen die individuelle verantwortung abnimmt, tut sein übriges dazu, ihn nicht wieder in ihr blickfeld hineinzurücken.

Daß Du aber die Risiko-Absicherung, die im allgemeinen Sprachgebrauch die Aufrechterhaltung der Eigentumsverhältnisse gewährleistet, auf die Vorratswirtschaft runterbrichst, kann ich Dir nicht durchgehen lassen. Sowie der Mensch den gebratenen Tauben entsagt, und sich auf einen Anderen bezieht - und sei es der Mann auf dem Mond - und sich mit ominösen Produktivitätsstandards ins Verhältnis setzt, handelt er vollends unvernünftig und widernatürlich. Diese Paranoia ist der vom Konkurrenzdenken erzeugte Wahn, der sein Ebenbild im Spiegel sieht und vor sich selbst erschauert. Willkommen im Panoptikum!
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