Thread Wieder der Vernunft II: shortcuts, short circuits and bypasses (11 answers)
Opened by Shagreen at 2003-09-22 14:46

Shagreen
 2003-09-23 14:49
#22503 #22503
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Jan,22.09.2003,18:11
>Die Sozialkassen sollen also vom Faktor Arbeit abgekoppelt werden. Die Kassen leben aber von den Einnahmen der Einzahler.

das sollen sie ja auch weiterhin ... sie sollen nur nicht mehr größtenteils von den arbeitnehmern bezahlt werden, sondern von der solidargemeinschaft, die weit mehr aus nur die arbeitnehmer umfasst. hinter der bürgerversicherung steckt doch ein ganz ähnliches prinzip. man haut das aus den lohnnebenkosten raus, erhöht die löhne etwas, aber zwingt gleichzeitig spitzenverdiener, beamte und selbstständige, auch in das ineffiziente solidarsystem hineinzusteigen.
und damit erledigt sich dann auch die idee vom 1:1-transfer der lohnnebenkosten in die löhne, da das nicht notwendig ist.

Hm, ein ineffizientes Solidarsystem führt in den Staatsbankrott, da kann man die Basis erhöhen wie man will. Es sei denn, man ist nicht bereit, die Mehr-Leistungen, die sich aus den Mehr-Beiträgen ergeben, zu bezahlen. Dann wäre vielleicht Solidarsystem nicht das richtige Wort.

Jan,22.09.2003,18:11
>Das "Friß oder Stirb" ist die zynische Konsequenz von Slogans wie "Arbeit macht frei!" oder "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!", die im faschistischen KZ, wie im kommunistischen GULAG als Endlösung gefeiert wurde.

ein "wenn du an der solidargemeinschaft teilhaben willst, dann trage auch deinen teil bei" ist für dich gleich ein faschistoider ausspruch? wow, und ich dachte du steht da eher im sinne marx - was ist, wenn in marx theorie 95% keine lust zum arbeiten haben und sagen "jungs, ihr macht das schon. macht doch dreifachschichten, dann schafft ihr das schon, uns durchzufüttern. sorry, keine lust, ist so anstrengend."? freudestrahlendes "yeah, ich darf für 19 arbeiten?"

Marx selbst sagt von sich, er sei kein Marxist. Seine Theorie ist, wie jede Theorie, widersprüchlich. Trotzdem meinte er, der Staat muß überwunden werden, wenn er seine Gedanken auch nicht mehr in aufbereiteter Form in einem Vierten Band des Kapitals darlegen konnte.
Du unterstellst, daß der Mensch von Grund auf zur Faulheit und zu einem Taugenichtsdasein tendiert und deshalb diszipliniert werden muß. Das ist eine typisch bürgerliche Verdrehung der Tatsache, daß der Mensch erst von einem Wirtschaftssystem zur Tatenlosigkeit verurteilt wird.

Jan,22.09.2003,18:11
>Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind der beste Beweis für die Lächerlichkeit unseres alltäglichen Selbstbetrugs
die gehören ja aber auch nicht zum marktwirtschaftlichen teil des deutschen systems, sondern zum sozialen teil. abm ist absolut unkapitalistisch, weil weitestgehend sinnlos, nicht produktiv. einer schüttet sand auf den boden, der andere füllt ihn in wieder in den eimer, aus dem ihn der erste wieder auf den boden schüttet. beide haben arbeit, aber sie sind nicht produktiv.

Da bin ich in meiner Arbeit natürlich um Längen produktiver, wenn auch destruktiver. Ein kapitalistisches Sozialwesen ist ein Widerspruch in sich. Die Abrüstung des Sozialstaates (sozialer Ausgleich) bei schwindender Existenzgrundlage der meisten Menschen (Arbeit) wird zu repressiveren Methoden führen; der Traum von der "Vergewaltigung ohne Gewalt" unterm formal-demokratischen Deckmäntelchen ist ausgeträumt. Richtig effizient ist eben nur die Menschenhaltung in Arbeitslagern. Da sich der fortschrittlich-demokratische Verstand daran stören könnte, ist es aber besser, jeder schaufelt sein eigenes Grab.

Jan,22.09.2003,18:11
>Cleverer wäre es, die Lasten garnicht mehr entstehen zu lassen, aber wo wäre dann das Geschäft?

arbeitslosen-, kranken-, und rentenversicherung abschaffen? wie dann das (moderne) bedürfnis nach allumfassender absicherung befriedigen?

Eine Absicherung vor den Unwägbarkeiten und Risiken eines blind prozessierenden Systemzusammenhangs ist unmöglich. Bei Überbeanspruchung der Ressourcen knallen die Sicherungen. Besser ist das System zu analysieren, woher kommt das gestiegene Bedürfnis nach einer Vollkaskogesellschaft?

Jan,22.09.2003,18:11
>Die Anzahl der Lastesel soll erhöht werden, damit die Last gerecht (gleich) verteilt ist (Vorsicht: kapitalistische Utopie bzw. utopischer Kapitalismus)

sorry, aber das hat doch mit kapitalismus überhaupt nichts zu tun. die bürgerversicherung ist eine typische idee zur umverteilung, zum solidarischen system, was ich nun eher dem sozialistischen zurechner als dem kapitalistischem. der kapitalist würde niemals sagen "ahjo, der arbeitet zwar nicht so viel wie ich aber ich zahl trotzdem mal das dreifache wie er für die gemeinschaft". dabei geht es ja nicht um gerechtigkeit im sinne von ausgewogenheit oder relativer gleichheit, sondern um soziale gerechtigkeit, den schwammigsten begriff in der moderne, gleich neben der menschenwürde.

Nochmal, eine Bürgerversicherung hat das Problem der DDR auch nicht lösen können. Das Sozialsystem wird immer unbezahlbarer (falls eine Steigerungsform überhaupt zulässig ist).

Das Motiv unseres Produzierens von Waren ist die Schaffung von Mehrwert, der sich durch Konsumtion der Waren in Profit auflöst. Für die Erhöhung des Mehrwerts (und damit der Mehrarbeit) gibt es zwei Möglichkeiten: a) die Steigerung der Ausbeutungsrate bei gegebener Anzahl von Arbeitskräften und b) die Erhöhung der Anzahl von Arbeitskräften bei gegebenem Ausbeutungsgrad. Marx spricht im Falle von a) von der "Verwohlfeilerung" von Produktionsmitteln (Maschinen/Technologie = konstantes Kapital) und b) von der Vergrößerung des menschlichen Arbeitsanteils (variables Kapital) und zeigt damit die "organische Zusammensetzung" des Gesamtkapitals auf. Es dreht sich letztendlich also immer idealtypisch um Vollautomatisierung vs. Vollbeschäftigung. Ersteres ist dem konkurrenzkapitalistischen, letzteres dem monopolkapitalistischen (Geschäfts/Wirtschafts-)Modell zuzuordnen. Du selbst glaubst nicht an eine Vollbeschäftigung (ich auch nicht); was machen wir aber mit den überflüssigen Kostenfressern, die stetig mehr werden? Der postmoderne Mensch hat durch die Dritte industrielle Revolution (Mikroelektronik, Automatisierung, Robotik, ...) Produktiv- und gleichzeitig Destruktivkräfte angehäuft wie nie zuvor. Wir können an einem Tag Rom erbauen und in einer Zigarettenpause wieder einreißen (was wir ja auch sinngemäß tun). Zu sagen, daß wir Deutschen nicht produktiv genug sind, ist nationalistische Volksverdummung, die selbst die Propagandamaschinerie unserer glorreichen Vorfahren locker an die Wand spielt.

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